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Ballonverkäufer

Otto Rudolf Schatz, Ballonverkäufer (1. Teil eines Triptychons), 1931, Öl auf Leinwand, 190 × 1 ...
Ballonverkäufer
Otto Rudolf Schatz, Ballonverkäufer (1. Teil eines Triptychons), 1931, Öl auf Leinwand, 190 × 1 ...
Otto Rudolf Schatz, Ballonverkäufer (1. Teil eines Triptychons), 1931, Öl auf Leinwand, 190 × 110 cm, Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 8680
© Bildrecht, Wien 2024
Diese Bilddateien werden ausschließlich für privaten Gebrauch zur Verfügung gestellt. Für jegliche Art von Veröffentlichung/ kommerzieller Nutzung kontaktieren Sie bitte unsere Reproabteilung.
  • 1. Teil eines Triptychons
  • Datierung1931
  • Künstler*in (1900 Wien – 1961 Wien)
  • ObjektartGemälde
  • Material/TechnikÖl auf Leinwand
  • Maße
    190 × 110 cm
  • SignaturMonogr. rechts unten: ORS / x
  • Inventarnummer8680
  • Standort Oberes Belvedere
  • Inventarzugang1991 Ankauf Sammlung Daim, Wien
  • Es ist ein Motiv, das an das Halblichtmilieu im Wiener Prater denken lässt. Wie einen bunten Blumenstrauß präsentiert der Ballonverkäufer seine Ware. Halb im Schatten steht er, hinter zwei jungen Mädchen. Sein Blick scheint leer, beinah bedrohlich. Alle drei Figuren schauen aus dem Bild heraus, wohl auf eine vierte Person. Könnte diese ein Verehrer sein, der sich die Gunst der Mädchen mit dem roten Luftballon erkaufen möchte? Traumatisiert durch die Gräuel im Ersten Weltkrieg setzt sich Schatz mit allen Aspekten von menschlicher Existenz und sozialer Wirklichkeit auseinander. Sein kühl-melancholischer Ballonverkäufer gilt heute als Ikone der österreichischen Malerei der Zwischenkriegszeit.

  • Epische Kunst der Neuen Sachlichkeit von Otto Rudolf Schatz
    Cornelia Cabuk ORCID logo

    War Otto Rudolf Schatz ein „neusachlicher Populist“ oder strebte er in Analogie zu Theater und Film eine epische Kunst als Möglichkeit der Demokratisierung im Kunstbereich an? Dieser Frage widmet sich der folgende Text über das Gemälde Ballonverkäufer.

    Das Pratermotiv zeigt die isolierte Gruppe zweier Mädchen mit der hinter ihnen stehenden mächtigen Figur eines Ballonverkäufers, der soeben einen nicht sichtbaren Käufer bedient. Die Verwendung der aufblasbaren Formen der Ballons als geometrische Gebilde auf dem Gebiet der Kunst in ihrer Ambivalenz zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, zwischen Körperlichkeit und Vakuum wurde von Schatz bewusst als Stilmittel eingesetzt und weist voraus auf ihre Bedeutung in der Gegenwartskunst, zum Beispiel bei Jeff Koons’ Balloon-Skulpturen. Schatz hat die Buntfarben der Luftballons in der modischen Aufmachung der Mädchen reflektiert, im Kleid und in der Kappe, sodass das Prekäre ihrer Situation angesichts eines unheimlichen Fremden in den ephemeren Volumina der Ballons als ein wesentlicher Aspekt der Bildsymbolik augenscheinlich wird. Trotz des mächtigen Hochformats mit nahezu zwei Metern beschrieb Schatz einen schlaglichtartigen, momenthaften Ausschnitt des Geschehens, indem sowohl die Figuren als auch der Luftballonstrauß vom Bildrand abgeschnitten werden. Fast plakativ kommt dabei die flächenhafte Wirkung zur Geltung. Schatz verstärkt diese durch den summarischen Farbauftrag, welcher die Bildgegenstände wie auf einer Kinoleinwand flach hervortreten lässt. Das schräg von oben einfallende Licht wirkt wie durch einen Filmscheinwerfer hervorgerufen.


    Das Auftreten neuer Medien

    Schatz hat im Gemälde Ballonverkäufer bewusst und auf bemerkenswerte Weise auf die ab den 1920er-Jahren zunehmende Bedeutung der neuen Medien Film und Fotografie reagiert. Als Absolvent der Wiener Kunstgewerbeschule war er für das vielseitige und grenzüberschreitende Arbeiten in unterschiedlichen Medien prädestiniert, und auch der sozialkritische Aspekt war ihm durch seinen Lehrer früh vertraut. Der Architekt Oskar Strnad, der die Klasse Allgemeine Formenlehre unterrichtete, schickte die Studierenden zum Lokalaugenschein in die Arbeiterviertel.[1] Die Uraufführung in Wien des ersten Tonfilms von Fritz Lang, der auch als Milieustudie der Armenviertel Berlins betrachtet werden kann, erregte großes Aufsehen. Der Rezensent des Kino-Journals beobachtete aufgrund der präzisen Zeichnung der Charaktere die Inspiration Langs durch Bertolt Brechts Dreigroschenoper.[2] Die Premiere von Langs M fand am 3. September 1931 im Wiener Apollo Kino statt. Der Film sorgte als Kassenschlager monatelang für ausverkaufte Kinosäle.[3] Lang beschreibt in einer zwischen Atemlosigkeit und Grauen schwankenden Stimmung die gespannte, schreckerfüllte Atmosphäre einer Stadt, in der ein Kindsmörder umgeht.[4] Dieser wird schließlich durch die Aufmerksamkeit eines blinden Ballonverkäufers, der sich an die vom Mörder gepfiffene Melodie der Peer-Gynt-Suite von Edvard Grieg erinnert, überführt, wobei die Schlüsselszene, eine der unheimlichsten des Films, jene mit dem Ballonverkäufer, dem (unerkannten) Mörder und dem Opfer, einem kleinen Mädchen, ist.[5] Auf subtile Weise hat Lang in dieser Sequenz durch die Bildregie in den drei Figuren, deren Blicke sich nur scheinbar kreuzen, die Sinneswahrnehmungen von Hören, Sehen und Tasten als wesentliches narratives Element des Films bewusst gemacht. In einer dieser Szene vergleichbaren Konstellation hat Schatz im Bild Ballonverkäufer die im Alltäglichen lauernde Ambivalenz des Sichtbaren durch das Spannungsmoment der Figur des Unbekannten verdeutlicht, die sich eigentlich im selben Raum wie die Betrachterinnen und Betrachter befände. Damit verlieh er der von Franz Roh 1925 in Nachexpressionismus – Magischer Realismus. Probleme der neuesten europäischen Malerei publizierten Definition dieser Kunstrichtung eine neue Dimension: „Mit dem Begriff ‘magisch‘ im Gegensatz zu ‘mythisch‘ sollte angedeutet sein, daß das Geheimnis nicht in die dargestellte Welt eingeht, sondern sich hinter ihr zurückhält.“[6] Im Bild von Schatz wird das Unbehagen nicht durch das Sichtbare hervorgerufen, sondern durch das mögliche Eintreffen des Unglücks. Inspiriert durch die gewaltigen Filmbilder verlieh Schatz einem miniaturhaften Ausschnitt eindrucksvolle Größe und symbolhafte Bedeutung als Zeitbild.


    Der Stadtraum in der Neuen Sachlichkeit

    Im Umfeld der Neuen Sachlichkeit wird der Stadtraum häufig als bedrohliches Szenario geschildert,[7] wobei das Erschrecken als ein zentrales Motiv der Stadtwahrnehmung in der literarischen Miniatur der Moderne eine wesentliche Rolle spielt.[8] Das Unheimliche dominiert die urbane Atmosphäre in Werken des magischen Realismus, unter anderem inspiriert durch das Motiv der leeren Plätze italienischer Städte in der Pittura metafisica. Im Frühjahr 1933 präsentierte Otto Rudolf Schatz das Gemälde Ballonverkäufer in der 66. Ausstellung des Hagenbunds in Wien. Vor Schatz hatte Franz Lerch im Bild Vergnügungspark/Praterbild (1931) den Augenblick des Erschreckens packend dargestellt.[9] Das in der Galerie Würthle und höchstwahrscheinlich auch im Hagenbund[10] ausgestellte Werk war Schatz bekannt, wobei auch Alfred Markowitz es in seiner Rezension der Hagenbundausstellung 1933 erwähnte[11] Im Vergleich zu Lerchs stakkatoartiger Konstellation unzusammenhängender Einzelmotive, welche die Diskontinuität der Wahrnehmung beschreibt, erkennt man bei Schatz die minimalistische Konzentration auf das Essenzielle.


    Kontextuelle Erzählweise als Ausdruck des Epischen

    Die aus dem Medium Film abgeleitete Kontextualisierung solcher Momentaufnahmen inszenierte Schatz durch die Hängung in der Hagenbundausstellung 1933, als er den Ballonverkäufer als Teil einer Trilogie mit ähnlich wirkungsmächtigen Bilderzählungen, Mädchen in der Landschaft / Badende (1930)[12] und Schaustellung/Praterbude (1930)[13] zeigte. Für diese Werke, in denen er mittels eines krassen Realismus bislang nicht als „kunstwürdig“ erachtete Existenzen aus dem Pratermilieu ins Blickfeld der Bourgeoisie beförderte, entwickelte Schatz im Sinn der proletarischen Selbstermächtigung eine zeitgemäße Bildsprache, die heute als ein Höhepunkt der Neuen Sachlichkeit in Österreich zu betrachten ist. Die Gleichstellung der Frau, das Auftreten gegen Rassismus und Prostitution waren programmatische Inhalte der Sozialdemokratischen Kunststelle, für die Schatz arbeitete. Diesen Anliegen verlieh er in seinen Werken eine breite Öffentlichkeit. Er wählte dafür die Methoden der Kommunikation aus den neuen Medien der Arbeiterkultur, Film und Fotografie, um in seinen stringenten Bilderzählungen auch für die Massen verständlich zu bleiben. In der Nivellierung von „High“ und „Low“ trug er zur Demokratisierung im Kunstbereich bei und sprach eine neue Schicht von Rezipientinnen und Rezipienten an. Der „Kinokulturarbeiter“ Fritz Rosenfeld, Redakteur der Arbeiter-Zeitung und persönlicher Freund von Schatz, hielt am 30. Jänner 1929 für Radio Wien den Vortrag „Der Arbeiter und der Film“, in dem er die Bedeutung des Films als selbstständiges künstlerisches Ausdruckmittel erklärte.[14] Als aufmerksamer Zeitgenosse nutzte Schatz selektiv die Möglichkeiten des Films von der Reportage bis zum Thriller für sein Engagement im Bereich der Arbeiterbildung in seiner Kunst. Die epische Breite seiner Erzählkunst bewirkte das Reframing der primitivistischen Figurensprache – akzentuiert mittels leuchtender Buntfarben – als Ausdruck der Authentizität und ihre Etablierung als eine in der sogenannten „Hochkunst“ gültige Norm.


    Zäsur, Exil und Neubeginn

    Dieser hoffnungsvolle Ansatz in einer Zeit großer Not und Arbeitslosigkeit wurde durch das Bürgerkriegsjahr 1934 und das Verbot der Sozialdemokratischen Partei in Österreich zunichte gemacht. Schatz verließ Wien fluchtartig. Vor seiner endgültigen Emigration zeigte er 1937 noch New-York-Motive in der Neuen Galerie in Wien und im Hagenbund. Letzterer wurde 1938 durch das nationalsozialistische Regime aufgelöst, etliche Mitglieder , wie Carry Hauser, Franz Lerch, flüchteten ins Exil, Fritz Schwarz-Waldegg und Robert Kohl wurden ermordet. Schatz lebte in den 1940er-Jahren im Untergrund in Prag, wo er 1944 verhaftet und in der Folge in mehreren Konzentrationslagern interniert war. In einigen Mosaiken der Nachkriegszeit für die Gemeinde Wien im Rahmen von Kunst am Bau wird die Inspiration durch seine eindrückliche Figurensprache der 1930er-Jahre wieder bemerkbar.

     

    Anmerkungen

    Evelyne Polt-Heinzl, „Oskar Strnad“, in: Litkult 1920er Jahre. Porträts, https://litkult1920er.aau.at/portraets/strnad-oskar (zuletzt besucht am 19.4.2021).

    Autorenkürzel M. J., „M. Ein Tonfilm von Fritz Lang“, in: Das Kino-Journal, 24. Jg., Nr. 1101, 5.9.1931, S. 12.

    Anonymus, „Neue Tonfilme“, in: Österreichische Film-Zeitung, Nr. 37, 12.9.1931, S. 2.

    Anonymus 1931 (wie Anm. 3).

    Der Ballonverkäufer mit Mädchen und Mörder, Filmstill aus Fritz Langs M, 1931, http://craftingtheeye.blogspot.com/2010/08/fritz-lang-m.html (zuletzt besucht am 26.5.2021).

    Franz Roh, „Vorwort“, in: ders., Nachexpressionismus – Magischer Realismus. Probleme der neuesten europäischen Malerei, Leipzig 1925, o. S.

    Cornelia Cabuk, „‘Magische‘ Sachlichkeit in Wien und Österreich“, in: Agnes Husslein-Arco / Thomas Köhler / Ralf Burmeister / Alexander Klee / Annelie Lütgens (Hg.), Wien–Berlin. Kunst zweier Metropolen (Ausst.-Kat. Berlinische Galerie; Belvedere, Wien), München 2013, S. 346.

    Andreas Huyssen, „Modern Miniatures. Literary Snapshots of Urban Spaces“, in: Publications of the Modern Language Association of America, Bd. 122, Heft 1, 2007, S. 34.

    Franz Lerch, Vergnügungspark/Praterbild, 1931, Öl, unbekannter Besitz, abgebildet in Agnes Husslein-Arco / Thomas Köhler / Ralf Burmeister / Alexander Klee / Annelie Lütgens (Hg.), Wien–Berlin. Kunst zweier Metropolen (Ausst.-Kat. Berlinische Galerie; Belvedere, Wien), München 2013, S. 346.

    62. Ausstellung. Künstlerbund Hagen (Ausst.-Kat., Hagenbund, Zedtlitzhalle, Wien), Wien 1931, Nr. 73.

    Alfred Markowitz, „Die Frühjahrsausstellung des Hagenbunds“, in: Arbeiter-Zeitung, 46. Jg., Nr. 126, 8.5.1933, S. 3.

    Cornelia Cabuk, Otto Rudolf Schatz. Monografie und Werkverzeichnis, hg. von Stella Rollig / Christian Huemer (Belvedere Werkverzeichnisse, 7), Wien 2018, https://werkverzeichnisse.belvedere.at/groups/otto-rudolf-schatz/results (zuletzt besucht am 26.5.2021).

    Cabuk 2018 (wie Anm. 12).

    Fritz Rosenfeld, „Der Arbeiter und der Film. Vortrag, gehalten am 30. Jänner 1929 im Wiener Radio (Arbeiterkammerstunde)“, in: Bildungsarbeit. Blätter für sozialistisches Bildungswesen, Jg. 16, Heft 2, Februar 1929, S. 17–21.