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Beweinung Abels

Johann Michael Rottmayr, Beweinung Abels, 1692, Öl auf Leinwand, 191 x 127 cm, Belvedere, Wien, ...
Beweinung Abels
Johann Michael Rottmayr, Beweinung Abels, 1692, Öl auf Leinwand, 191 x 127 cm, Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 4298
Dieses Werk ist Teil der Open Content Policy des Belvedere, ist zum Download freigegeben und unterliegt der Creative Commons Lizenzvertrag Creative Commons License CC BY-SA 4.0.

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  • Datierung1692
  • Künstler*in (1654 Laufen an der Salzach – 1730 Wien)
  • ObjektartGemälde
  • Material/TechnikÖl auf Leinwand
  • Maße
    191 × 127 cm
  • SignaturSign. und dat. rechts unten: Jo. Michael Rotmayr / Fecit 1692
  • Inventarnummer4298
  • Standort Derzeit nicht ausgestellt
  • Inventarzugang1948 Ankauf Harrach'sche Gemälde-Galerie, Wien
  • Eine erschütternde Szene: Wie auf einer Bühne im Scheinwerferlicht liegt Abels Leichnam am Boden. Der blutende Kopf, die Trauer von Adam und Eva, Gottvater vor glühenden Wolken – das alles löst Staunen, Entsetzen und Mitgefühl aus. Gemeinsam mit seinem Gegenstück, der Opferung Isaaks, weist das Bild auf den Opfertod Christi und dessen Beweinung voraus. Johann Michael Rottmayr zählt zu den Wegbereitern der hochbarocken Malerei in Österreich. Er war in vielen Kirchen, Klöstern und Schlössern tätig. Den fulminanten Endpunkt seines produktiven Schaffens bildet das monumentale Kuppelfresko der Wiener Karlskirche, das der Maler, damals über siebzigjährig, realisierte.

  • Im Anfang war der Mord. Johann Michael Rottmayrs Beweinung Abels im Belvedere
    Maike Hohn ORCID logo

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    Im ersten Buch Mose wird die Geschichte von Kain und Abel erzählt, den beiden Söhnen des ersten Menschenpaares Adam und Eva (Gen 4,1-16). Der ältere Kain ist Ackerbauer, der jüngere Abel Schafhirte. Aus Eifersucht, weil die Gunst Gottes Abel und nicht Kain für seine Opfergabe gilt, erschlägt der Erstgeborene den jüngeren Bruder. Nicht nur im Alten Testament ist dieser Mord überliefert, auch der Tanach und der Koran berichten davon (Bereschit 4,2-16; Sure 5,27-32).

    In Rottmayrs Gemälde liegt Abel bereits leblos auf dem Boden; die Tatwaffe – ein dicker, knorriger Ast – gleich neben ihm. Im Hintergrund schwelen die Opferfeuer, während Kain aus Scham für die Tat und Furcht vor Bestrafung dem Auge Gottes zu entfliehen versucht.

    Die Szene der Beweinung, die Rottmayr hier schildert, kommt im biblischen Ursprungstext so explizit gar nicht vor. Sie ist ein auf apokryphen Schriften beruhender, bereits im Mittelalter nachweisbarer Bildtypus, der nicht die Bluttat, sondern die Trauer der Eltern um ihr verstorbenes Kind in den Vordergrund rückt und diese für die Betrachter*innen anschaulich und nachempfindbar macht.

    Zu dem Gemälde existiert ein gleich großes Gegenstück, das sich in der Alten Galerie in Graz erhalten hat.[1] Rottmayr hat beide Gemälde signiert und auf das Jahr 1692 datiert. Mit der Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham greift das Pendant ebenfalls ein Thema des Alten Testaments auf (Gen 22,1-19). Hier wird ein Vater einer harten Glaubensprüfung unterzogen: Um Abraham auf die Probe zu stellen, ordnet ihm Gott die Tötung seines einzigen Sohnes Isaak an. Zur Vollstreckung kommt es letztlich nicht, da Gott Abrahams Bereitschaft zur Opferung seines Kindes als Ersatz für die Tat anerkennt. Die göttliche Intervention erfolgt durch den Engel, der das Menschenopfer im letzten Moment verhindert. Stattdessen wird der Vater ein Tier – einen Widder – darbringen.

    Beide Darstellungen stehen in typologischem Zusammenhang mit dem Neuen Testament, das heißt, sie weisen auf die Passion Christi voraus, konkret auf den Opfertod und die Beweinung. Auch formal und kompositorisch sind sie, abseits des nahezu identischen Formats, eng aufeinander bezogen. Schon Jahre vor der Entstehung dieser beiden Gemälde hat Rottmayr ein themengleiches Bildpaar für die Alte Residenz in Passau gefertigt.[2] Heute beherbergt dieser Bau das Landgericht; seinerzeit war er jedoch Sitz der Fürstbischöfe von Passau. In Analogie – und mangels Kenntnis eines Auftraggebers – hat man in der Forschung für das Gemäldepaar in Wien und Graz ebenfalls eine ursprüngliche Entstehung für geistliche Repräsentationsräume erwogen.[3]

    An der Beweinung Abels lässt sich die künstlerische Schulung Rottmayrs bei seinem langjährigen Lehrmeister Johann Carl Loth in Venedig erkennen. Nach eigener Aussage war Rottmayr 13 Jahre im Atelier des aus München gebürtigen Malers tätig und darum bemüht, dieses „so hoch estimirten Künstlers gutte qualität und aigenschafft zu acquiriren“[4]. In seinen Bildern übernimmt und variiert er häufig dessen Kompositionen und Figurentypen, löst sich zugunsten eines ganz eigenen Kolorits jedoch zunehmend von der durch ein betontes Helldunkel geprägten Malerei seines Lehrers.

    Insbesondere in der Figur des leblosen Abel tritt das Vorbild klar zutage. Loth selbst hat die rücklings liegende, zuweilen stark verkürzt gegebene männliche Aktfigur in vielen seiner Bilder verwendet.[5] Diesem Motiv liegen antike Skulpturen zugrunde, etwa jene des in Venedig seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert nachweisbaren Toten Galliers.[6] Letzterer war Teil der Antikensammlung, die der Patriarch von Aquileia Giovanni Grimani der Republik Venedig stiftete und die seit 1596 im sogenannten Statuario Pubblico in der Antisala der Biblioteca Marciana öffentlich zugänglich war.[7] Unter den Künstlern des Loth-Kreises avanciert das Motiv des rücklings liegenden männlichen Akts fast zu einer Art Markenzeichen; als verwundeter oder sterbender Heros aus Bibel und Mythologie stellt er die Bildwelten der Loth-Schüler auf den Kopf.[8]

    Überhaupt ist Rottmayr ein versierter Kombinierer: Auch innerhalb seines Œuvres spielen Motivübernahmen eine große Rolle. Einmal bewährte Figurentypen greift er immer wieder auf und adaptiert sie für andere Kompositionen und Themen. Die Figur der Eva aus der Beweinung Abels ist zum Beispiel ein solcher Fall: Schon in den Werken des Künstlers im Belvedere ist sie gleich zwei weitere Male anzutreffen; mit Abwandlungen bei Arm- und Beinhaltung macht Rottmayr sie einmal zur sterbebereiten Iphigenie und einmal zur bedrängten Lucretia.

    In die Sammlung des Belvedere gelangte die Beweinung Abels im Jahr 1948 (Abb. 1). Immer wieder ist das Bild seither Bestandteil der Schausammlung (Abb. 2) (Abb. 3) (Abb. 4). Vorbesitzerin des Gemäldes und seines Pendants war die Adelsfamilie Harrach, in deren Händen sich das Bildpaar ab 1783 befand.[9] Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der umfangreiche und qualitätvolle Bilderbestand der Familie im Palais auf der Freyung in der Wiener Innenstadt zusammengeführt, 1886 wurde er der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.[10] Auch die Beweinung Abels und die Opferung Isaaks waren dort zeitweise ausgestellt.[11] Heute befindet sich die Harrach’sche Gemäldesammlung, die schwerpunktmäßig Gemälde des 17. und 18. Jahrhunderts umfasst, im Schloss Rohrau bei Bruck an der Leitha in Niederösterreich.

    Das Bild selbst gibt einen interessanten Hinweis zu seiner Eigentumsgeschichte. Es trägt unten rechts – noch unterhalb von Rottmayrs Signatur – die Kennzeichnung „W.F. 486.“. Die Abkürzung steht für „Wiener Fideikommiss“ und weist auf die Herkunft des Werks aus dem ehemals unveräußerlichen und unteilbaren Besitz der Adelsfamilie im Wiener Palais Harrach hin.[12] Die erbrechtliche Einrichtung der Familienfideikommisse ermöglichte es, Vermögenswerte durch einen Stiftungsakt zu einem Komplex zusammenzufassen, der weder ganz noch teilweise veräußert werden durfte und einer bestimmten Erbfolge unterlag. Unter österreichischen Adelsfamilien waren Familienfideikommisse als Mittel zum ungeteilten und dauerhaften Erhalt ihres Erbguts bis zu ihrer gesetzlichen Abschaffung im Jahr 1938 – mit Wirksamkeit ab 1. Jänner 1939 – weit verbreitet.[13]

    Als es im Jahr 1948 zur Veräußerung des Gemäldes durch die Familie Harrach kam, gab es zunächst ähnlich geleitete, wenn auch anders, nämlich denkmalpflegerisch begründete Bedenken, ob die Harrach’sche Sammlung „vermöge ihres künstlerischen Zusammenhangs“ nicht als Ganzes erhalten werden müsse.[14] Nach einer Prüfung durch das Bundesdenkmalamt konnte das Werk jedoch schließlich für das Belvedere erworben werden.

    Die Beweinung Abels wurde seit ihrer Entstehung mehrfach restauriert.[15] Im Jahr 2004 fand die bislang letzte Restaurierung des Gemäldes durch das Atelier Schlossgasse in Wien statt. Ziel dieser Unternehmung war es, die Stabilität des Werks zu sichern sowie seine Präsentierbarkeit durch ästhetische Maßnahmen zu verbessern. Die zugehörigen Untersuchungen brachten einen spannenden Fund: Nach der Abnahme des Firnisses und der Übermalungen wurde offenkundig, dass im Zuge einer früheren Doublierung der Leinwand ein Kleisterpinsel in der Presse vergessen und mitgepresst worden sein muss. Fehlstellen und Verpressungen der Malschicht auf der Höhe der linken Schulter des toten Abel wiesen Form und Relief eines etwa zehn Zentimeter breiten Flachpinsels auf (Abb. 5).

    Die Geschichte der Beweinung Abels lässt sich also nicht nur, wie im Fall der Fideikommissnummer, auf der Leinwand ablesen, sie hat sich auch in besonderer Weise in die Malschicht des Bildes eingeschrieben.

     

    Anmerkungen

    Johann Michael Rottmayr, Opferung Isaaks, 1692, Öl auf Leinwand, 190 × 128,6 cm, Universalmuseum Joanneum, Graz, Alte Galerie, Inv.-Nr. 580.

    Johann Michael Rottmayr, Beweinung Abels und Opferung Isaaks, 1688/89, Öl auf Leinwand, je 146 × 90 cm, Alte Residenz (heute Landgericht), Passau; siehe auch Erich Hubala, Johann Michael Rottmayr (Große Meister, Epochen und Themen der österreichischen Kunst: Barock), Wien/München 1981, S. 201, Nrn. G 98a und G 98b.

    Peter Keller (Hg.), Johann Michael Rottmayr (1654–1730). Genie der barocken Farbe (Ausst.-Kat. Dommuseum zu Salzburg / Altes Rathaus, Laufen an der Salzach), Salzburg 2004, S. 166, Kat.-Nr. 54.1 (Peter Keller).

    Zit. nach Hubala 1981 (wie Anm. 2), S. 108, Dok. 86, Abb. 350, hier S. 1 (Gesuch Rottmayrs an Kaiser Leopold I. um Verleihung des Adelsprädikats).

    Zu nennen wäre hier etwa Johann Carl Loth, Der barmherzige Samariter, um 1680, Öl auf Leinwand, 135 × 170 cm, Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig, Inv.-Nr. GG 729; siehe auch Gerhard Ewald, Johann Carl Loth 1632–1698, Amsterdam 1965, S. 74, Nr. 161. – Vgl. weiter Dagmar Probst, Der Einfluss des Deutschvenezianers Johann Carl Loth (1632–1698) auf die österreichische Barockmalerei (Grazer Universitätsverlag – Reihe Habilitationen, Dissertationen und Diplomarbeiten, 43), Graz 2016, S. 42f. und 134f.

    Toter Gallier, Marmor, Kopie aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. nach einem hellenistischen Original, Museo Archeologico Nazionale di Venezia, Inv.-Nr. VIII: 25.

    Die Schenkung Grimanis an die Serenissima legte den Grundstein für die Einrichtung des Statuario Pubblico als öffentliches und staatliches Antikenmuseum; vgl. Marilyn Perry, „The Statuario Publico of the Venetian Republic“, in: Saggi e memorie di storia dell’arte, Bd. 8, 1972, S. 75–150, 221–253, hier S. 78–82. Der Tote Gallier wird im drei Bände umfassenden Inventar von 1736 aufgeführt, beschrieben und abgebildet; eine Zeichnung gibt ihn sogar in der damaligen Aufstellung wieder. Die Bände haben sich in der Biblioteca Marciana erhalten (Rappresentazione in disegno delle quattro facciate e piedestali isolati della Libreria […], Cod. It. IV, 123; Desegni delle Statue, de’ Busti ed altri Marmi antichi […], Cod. It. IV, 65; Descrizione Delle Statue, de’ Busti e d’altri Marmi antichi […], Cod. It. IV, 122); vgl. dazu auch Perry 1972, S. 123, Nr. 89; S. 140, Nr. 89; S. 224, Abb. 7; S. 242, Abb. 74 (Nr. 89). Wenige Jahre später, 1743, findet er durch die prunkvolle zweibändige Publikation von Antonio Maria d’Alessandro Zanetti als Kupferstich Verbreitung (Delle Antiche Statue Greche E Romane, Che Nell’Antisala Della Libreria di San Marco, e in altri luoghi publici di Venezia si trovano, Bd. 2, Venedig 1743, Taf. XLIV, https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/zanetti1743bd2/0089 (zuletzt besucht am 30.6.2021).

    Zu nennen wäre hier etwa Daniel Seiter, Diana an der Leiche des Orion, 1690er-Jahre, Öl auf Leinwand, 116 × 152 cm, Musée du Louvre, Paris, Inv.-Nr. R.F. 1997 30; siehe auch Matthias Kunze, Daniel Seiter 1647–1705. Die Gemälde (Monographien zur deutschen Barockmalerei), München/Berlin 2000, S. 112, Nr. 67.

    Neuerwerbungen 1947–1959. Katalog der XLVI. Wechselausstellung der Österreichischen Galerie im Oberen Belvedere (Ausst.-Kat. Belvedere, Wien), Wien 1959, S. 9.

    Günther Heinz, Katalog der Graf Harrach’schen Gemäldegalerie, Wien 1960, S. 6f. –  Konstantinos Raptis, Die Grafen Harrach und ihre Welt 1884–1945, Wien/Köln/Weimar 2017, S. 145.

    Hermann Ritschl, Katalog der Erlaucht Gräflich Harrach’schen Gemälde-Galerie in Wien, Wien 1926, S. 44, Nrn. 437 und 438.

    Werke aus anderen Fideikommissen der Familie (Rohrau, Prugg, Hrádek) sind ebenfalls mit entsprechenden Abkürzungen bezeichnet worden. Vgl. Ritschl 1926 (wie Anm. 11), o. S. (unter Zeichenerklärung).

    Gesetz über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen vom 6. Juli 1938, https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10001873&FassungVom=1999-12-31 (zuletzt besucht am 30.6.2021).

    Archiv des Belvedere, Wien, Zl. 644/1948.

    In der Literatur werden Restaurierungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, 1901 und 1903, durch Jasper angegeben; Keller 2004 (wie Anm. 3), S. 167, Kat.-Nr. 54.2 (Peter Keller).


    Abbildungen